Hallo,
auch die 2022er Dakar ist gelaufen. Mit Sam Sunderland hat ein GasGas- (also KTM-) Fahrer gewonnen. Allerdings in Sichtweite von Pablo Quintanilla auf Honda, der mit gerade mal 3:27 Minuten Rückstand auch auf Platz 1 hätte kommen können.
Es wurde hier schon öfter über die gefahrenen Höchstgeschwindigkeiten Be- und Verwunderung ausgedrückt. Auf den Etappen, die es von den Bodenverhältnissen hergeben, wurden Geschwindigkeiten von 170 km/h angegeben - Wahnsinn!
Besonders vor dem Hintergrund, dass die Fahrer ja "nebenbei" auch noch ein Papier-Roadbook studieren müssen, die Navigation dürfte durchaus schwierig sein. Ich fahre ab und an auch mit einem Papierroadbook in Holland Offroad-Touren, da muss man sich schon bei den niedrigen Geschwindigkeiten, die wir fahren (Höchstgeschwindigkeit auf Einzelstücken 90 km/h), ordentlich konzentrieren. Trotzdem muss ich gerade bei schnell aufeinanderfolgenden Abbiegungen immer wieder mal umdrehen, weil ich mich verfahren habe, und dann die Kilometerzähler der beiden Tachos anpassen.
Mir sind bei der Dakar ein paar Dinge unangenehm aufgefallen, die meine Begeisterung über diese Rallye erheblich dämpfen:
Die Sieger (egal ob bei den Motorrädern, den Autos oder den Trucks) sind "gemachte Sieger". Daher ist es nicht verwunderlich, dass über Jahre immer dieselben Fahrer derselben Marken gewinnen. Die großen Hersteller leisten sich ganze Teams von Fahrern, die dann taktisch eingesetzt werden. Szenen, bei denen ein früher gestarteter Fahrer wenige 100m nach dem Start an den Rand fährt und einen später startenden Fahrer seines Teams vorbeilässt, um sich dann an diesen dranzuhängen und in seiner Funktion als "Staubwedel" verfolgende Fahrer konkurrierender Teams "paniert" (die Begriffe stammen von Fahrern aus den Teams!) sind einfach nur abstoßend. Das erinnert an die sog. "Stallorder" der Formel 1 - die zurecht in die Kritik des Publikums geraten sind.
Oder Szenen, bei denen sich Teammitglieder eines Teams, bei dem ein Fahrer bereits deutlich führt, absichtlich hinter Fahrer anderer Teams zurückfallen lassen (durch vorgetäuschte technische Probleme oder "Festfahren in einer Düne"), damit die konkurrierenden Fahrer nicht deren Spuren im Sand folgen können und so evtl. Navigationsfehler machen, die dann den Abstand auf den führenden Fahrer des eigenen Teamsvergrößern.
Oder die Trickserei, sich durch absichtliche Zeitstrafen (Blitzenlassen auf geschwindigkeitsbegrenzten Überführungsetappen) davor zu drücken, am Folgetag als erster auf die Strecke fahren zu müssen und dadurch erschwerte Navigation zu haben.
Für mich geht damit der Reiz der ersten Paris-Dakar-Rallyes verloren. Heute ist das eine vollständig kommerzialisierte Veranstaltung, bei der eine Hand voll potenter Motorradmarken mit unbegrenztem finanziellen Aufwand und ein paar bezahlten Matadoren (auf deren Gesundheit und Leben die Sponsoren nichts geben) die Marke in ein gutes Licht rücken wollen, damit die Verkaufszahlen passen. Die großen Konzerne unterhalten Teams von erfahrenen Ex-Teilnehmern, die ausschließlich taktische Manöver planen und den Fahrern dementsprechende Instruktionen geben.
In der Berichterstattung sieht man ausschließlich die Fahrer der vordersten Ränge, in den Tagestabellen werden gerade mal die Ergebnisse der ersten 10 Fahrer erwähnt. Ursprünglich war diese Rallye eine Veranstaltung für mehr oder weniger verrückte Abenteurer, da waren alle möglichen Fahrzeuge am Start, es hat richtig Vergnügen bereitet, die Berichte anzuschauen (man findet genug Berichte aus den Anfangsjahren auf YouTube). Heute ist es eine Markenrallye, die 3 oder 4 Konzerne austragen, die Berichte sind genau auf deren Marketingabteilungen zugeschnitten. Dass sich die Topfahrer bei Zieleinfahrt vor laufenden Kameras den Helm runterziehen, um zuallererst ostentativ an einer Dose Zuckerplörre eines österreichischen Brause-Moguls zu lutschen, stößt mich ab!
Ich vermisse Berichte über die paar noch verbliebenen Privatfahrer - die für mich die wahren Helden solcher Rallyes sind! Ein voll gesponsorter und supporteter Profifahrer lässt sich bei Tageszielankunft vor der bestellten Presse beklatschen, gibt die immer gleichen vorgefertigten Floskeln zum Besten ("I pushed really hard ...", ich kann es nichtmehr hören!) stellt dann sein Motorrad nach gefahrerer Etappe im Service-Zelt ab. Dann lässt er sich voll versorgen (Physiotherapie, Verpflegung ...) und geht schlafen, um am nächsten Morgen auf ein 100% repariertes Fahrzeug aufzusteigen und wieder eine Tagesetappe unter vorgegebener Taktik und vorgegebener Zieleinfahrtreihenfolge abzuspulen. Die Privatfahrer haben so ein Luxusleben natürlich nicht. Kommen Stunden später im Biwak an, müssen dann alleine ihre Maschine warten / reparieren, sich erholen und morgens nach ein paar Stunden Schlaf (wenn überhaupt möglich) im selbst aufgebauten Zelt wieder auf die Karre klettern und weiterfahren. Respekt, DAS sind die eigentlichen Helden, die meiner Meinung nach vor die Kameras gehören! Warum wird über diese Fahrer nicht berichtet?
Die Berichterstattung (bei Eurosport, ...) ist glorifizierend. Bei vergangenen Rallyes hat man auch die Härten und Gefahren der Rallye gezeigt, sogar Unfälle und Scheitern - das auch dazugehört. Heute sieht man bei der geamten Rallye nur endlose Wiederholungen von zwei spektakulären Überschlägen (Truck und Auto), ansonsten nur die perfekten Hochglanzbilder der 3 Topteams im schönsten Sonnenlicht. Das gibt nicht den Charakter eines solchen Abenteuers wieder, sondern ist reinste einseitige Markenpropaganda.
Welche Informationskanäle nutzt ihr? Ich habe kein Sky- oder Eurosportabo, ich muss also auf die paar "frei" verfügbaren Zusammenfassungen bauen. Evtl. habt ihr ja andere Kanäle, auf denen mehr Randgeschehen abgebildet wird?
Wie seht ihr das?
Schönen Sonntag noch! Knacker
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