Erinnert mich ein wenig an diese kleine Geschichte, die mir letzten August passiert ist:
Zitat:
Oh, ich kann sie schon hören. Die ironisch, hämisch, grausam gefühlskalten Kommentare. Ich erzähle sie trotzdem, die Geschichte vom SUZUKI-Blues.
Alles fing ganz harmlos an: Rico beschließt, ein Angebot eines nicht näher bezeichneten Discounters für Motorradzubehör- und Bekleidung zu erwerben, um die zwar umfangreiche aber keineswegs vollständige Kollektion an Ausrüstungsteilen um einen zukünftig unersetzbaren Artikel zu erweitern. Die Rede ist von einem Overall für „drunter“ – also eigentlich einem Underall. Kurz: Funktionsunterwäsche als Einteiler, Testsieger bei blablabla-Magazin usw.etc.
Rico verlässt also klammheimlich mit seinem schwarzen Spaßmofa das unbedeutende Hochtal in einem ebenso unbedeutenden Flusstal im schon bedeutsameren Schwarzwald. Wie geplant ersteht er besagten Artikel und strebt voller Freude, fröhlich pfeifend der Heimat entgegen.
Irgendwie muss bei der Angabe der Größentabellen ein Fehler passiert sein. Unerklärlicherweise ist die Passform sehr – ähh, nennen wir es „körperbetont, sehr körperbetont, extremst körperbetont. Das Dingen ist einfach scheißeeng!!
Na gut, denkt sich Rico, das gibt doch Anlass genug, das lockere Töurchen am folgenden Tag zu wiederholen. Die sintflutartigen Regenfälle in der Nacht können ihm doch nichts anhaben – bei schönem Wetter kann doch jeder …
Die Straßen sind schmierig, die Gischt der vorausfahrenden Bürgerkäfige verschmiert die Brille, Feuchtigkeit kriecht widerlich und unaufhaltsam durch das klamme Leder. Der Umtausch verläuft reibungslos, wenn auch nicht ohne dieses bewusste, so vielsagende Grinsen bei der Frage, „hat die Größe nicht gepasst? Ich will sehen, ob wir ihre Größe vorrätig haben.“ Ricos tiefer Seufzer genügt als Antwort.
Rückfahrt. Den Typen, der für das Wetter verantwortlich ist, sollte man am höchsten Baum des Schwarzwaldes ein langsames, qualvolles Ende …
… fast zu Hause. Das letzte Provinzkaff liegt hinter ihm, die Stimmung bessert sich. Die beste ehemalige Sozia von allen wird gleich einen leckeren, starken Kaffee kochen und der Nachmittag wird trägem Dolce Vita gewidmet. Lange Gerade, fünfter Gang, gleich kommt die lange Links. „Diesmal werde ich suuuperspät bremsen.“ Gas zu, Runterschalten – klack, klack, klack – die Kupplung laaangsam kommen lassen …
Mist, schon wieder viel zu früh! Egal. Da vorne, die schrottreife Rentnerkiste greife ich mir noch vor der nächsten Heldenecke. Vollgas, Vierter, Fünfter, vorbei – der nasse Belag interessiert mich einen feuchten Dreck! Wieder Runterschalten – jaaahhh, endlich!! Rico spürt, wie das Heck seiner geliebten Suse nach außen drängt. „Ich bin Thierry van den Bosch, und Travis Pastrana in einer Person – ach was, ich bin Gott!!“ Ein unbeschreibliches Gefühl.
Merkwürdig. Irgendetwas stimmt nicht. Plattfuß vielleicht? Rico fährt rechts ran. Das dumpfe Bollern des Einzylinders verstummt. Grinsend fährt der Rentner vorbei: „Das haste nun von deiner Raserei!“, denkt er. Erschrocken blickt Rico auf den Motor seiner geliebten Wemse. „Sie blutet“, denkt er. Öl rinnt tropfend von der Unterseite des Motors. „Sie verblutet, sie wird sterben“, panisch schießen ihm die Gedanken durch den Kopf.
Schiebend, rollend und wieder schiebend erreicht Rico die heimatliche Garage. Eine Mischung aus Trauer und Sorge ergreift von ihm Besitz. Vorsichtig, fast zärtlich entfernt er den Motorschutz und einige Abdeckungen. Nichts zu erkennen. Der Ölstand ist nicht mehr messbar, der letzte Tropfen verrinnt in einem alten Stück Pappe unter dem Motor.
Heute dann das erschütternde Telefonat mit der Werkstatt. Suse muss gleich auf die Intensivstation – der Chefchirurg wird sich zusammen mit seinem Beraterstab gleich daran machen, böse, entartete Teile zu entfernen und umgehend neue, gesunde zu implantieren.
Als der Rettungs- ähh, Abschleppwagen kommt, ist Rico schon bereit. Liebevoll verabschiedet er seine kleine Suse mit einem innigen Streicheln über den Endtopf. Hab’ keine Angst, flüstert er ihr zu, ich bleibe bei dir. Sie werden dir nichts tun.
Als Suse eingeliefert wird, kommt sie umgehend in den Schockraum. Ärzte und Pflegepersonal kümmern sich besorgt um sie. Rico ahnt, hier ist die kleine Schwarze in guten Händen. Die Untersuchung dauert an und er könne getrost zu Hause auf das Ergebnis warten: „… können wir nichts versprechen. Garantie? Mal sehen. Wenn wir Teile bestellen müssen – sie wissen ja. Und denken sie daran, dass wir ab nächster Woche für vierzehn Tage Betriebsferien machen. Am Besten, sie rufen uns nicht an, wir rufen sie an.“
Endlos tropfen die Sekunden, zäh wie Lava schleicht die Zeit dahin. Rico starrt das Telefon flehend an. Vielleicht ist ja der Akku leer? Nein, alles im grünen Bereich. Warum bloß, ruft niemand an?! Wie das dauert!
Da! Jetzt! Es klingelt – das muss die Klinik sein. Ausgerechnet jetzt, wo Ricos Blase berstend gefüllt nicht länger auf die längst überfällige Erleichterung warten kann. „Ich komm’ ja schon“, ruft er. Hastig die Treppe hochgestolpert, wo ist das verdammte Telefon: „Hallo? Haaallo! So’n Dreck“ – aufgelegt. Im Display des Hörers wird eine völlig unbekannte Nummer angezeigt; warscheinlich falsch verbunden.
Rico, sinkt auf die Couch nieder. Gedanken rattern durchs Hirn. Momentaufnahmen aus glücklichen Zeiten. Die ersten Runden auf der Kartbahn, der erste Drift – na ja, ein kaum wahrnehmbares Zucken des Hinterrades. Aber immerhin …
Dingelingelingeling! Dingelingelingeling! „Grüß Gott! Die Agentur für Trallala und Hopsassa, mein Name ist Gabriele Rübenschlotzer. Wir haben ein unschlagbares Angebot – wenn sie nur ein paar Augenblicke …“. „Nein, habe ich nicht!!“ Der freundliche, sympathische junge Mann hat sich in Sekundenbruchteilen in ein keifendes Monster verwandelt. Die blutunterlaufenen, ausdruckslosen Augen bewegen sich hastig hin und her.
Rico hält es nicht mehr aus. Er tippt die Nummer der Werkstatt – besetzt. Nochmal. Beep Beep Beep Beep Beep Beep Beep Beep Beep Beep Beep Beep und Beep: Tuut - Tuuuuut – Ahh, endlich frei - Tuuuuut – Tuuu. “Noddelmeyer?“ „Hrgmpf.“ KLICK – Huch, er muss sich in der Aufregung verwählt haben.
„Wie bitte ..? Suzuki? Ja, ich … Welle? Welche Welle? Ritzel – aha … Oralwem? – Ach, O-ring … hm, ja … aber. Wann? Ach was! Och nööö, das ist ja kurios! Aber gerne … ja, klar - freu’ mich. Ja, bis später!“
„Das war die Werkstatt“, jubelt Rico zur besten ehemaligen Sozia von allen. „Ich kann Suse abholen.“ „Ach?“ „Ja, Jochen meint, irgendein O-ring an oder hinter der Ritzelwelle …“ „Hmmm“, sagt die beste ehemalige Sozia von allen und gibt mir zu verstehen, dass ihr technisches Verständnis ungefähr auf dem gleichen Niveau wie meines ist – nennen wir es interessierte Laien mit mehr oder weniger Basiskenntnissen. Die höflichste Umschreibung, die in diesem Zusammenhang verwendet werden kann, ohne beleidigend zu werden.
Glänzend wartet Suse ungeduldig auf dem Hof der Werkstatt. In der prächtig strahlenden Sonne wirkt sie, als ob sie mir vielsagend zuzwinkert: Los, komm! Steig auf, wir rollen ’ne Runde. Jochen, der Chefarzt, erklärt mir noch mal, was die umfangreichen Tests, Kernspintomografie, CCT, Labor- und sonstige Untersuchungen zutage gefördert haben: Suse ist kerngesund und es werden keine bleibenden Schäden erwartet. Möglicherweise hat "jemand" beim Tausch des Ritzels das vorgeschriebene Drehmoment nicht eingehalten – der Blick dabei ist äußerst vielsagend …